"Dem Geschriebenen misstrauen"

Matthias Nawrat wurde 1979 im polnischen Opole geboren. Als er zehn Jahre alt war, siedelte er mit seiner Familie nach Bamberg um. Nach seinem Studium am Schweizer Literaturinstitut in Biel veröffentlichte er 2012 sein Debüt Wir zwei allein und erhielt dafür u.a. den Adelbert-von-Chamisso-Förderpreis.

2014 folgte der Roman Unternehmer, der für den Deutschen Buchpreis nominiert wurde, und mit dem Matthias Nawrat u.a. den Kelag-Preis und den Bayern 2-Wortspiele-Preis gewann. Die vielen Tode unseres Opas Jurek ist sein jüngster Roman (2016). Damit gewann er den Förderpreis zum Bremer Literaturpreis 2016.

Matthias, du hast bereits drei Romane veröffentlicht, das vierte Buch ist in Arbeit. Hand auf's Herz: Wie wird man Schriftsteller?
Schriftsteller wird man, so tautologisch das klingt, hauptsächlich, indem man schreibt. Zum Schreiben kam ich persönlich über das Lesen. Also könnte man sagen, zum Schriftsteller wird man übers Lesen und dann in einem zweiten Schritt, indem man schreibt. Das Schreiben des Schriftstellers ist aber ein anderes als dasjenige des Nichtschriftstellers (fast jeder Mensch schreibt, und viele schreiben sogar literarische Texte). Der Schriftsteller hat eine unangenehme Getriebenheit in sich. Er ist mit keinem Satz zufrieden und misstraut jedem Satz, der ihm gelungen zu sein scheint. Ein Schriftsteller hat sich selbst tausend Mal kritisiert, bevor er einen Text veröffentlicht. Er veröffentlicht ihn mit einem Gefühl der Resignation. Er weiß, dass er nicht das zum Ausdruck gebracht hat, was er ausdrücken wollte und hofft darauf, dass er es mit dem nächsten Text besser machen kann.

Was rätst du Autorinnen und Autoren, die zwar einen fertigen Text haben, aber ohne Verlag sind? Den Text blind an alle möglichen Verlage zu schicken, hat vermutlich nicht viel Sinn, oder?
Ich würde mir die Frage stellen, zu welchem Verlag mein Text passen könnte. In welchem Verlag sind Autoren verlegt worden, die mit mir etwas zu tun haben. Dann würde ich meinen Text an diesen Verlag schicken und hoffen, dass ihn dort die richtige Person liest. Parallel dazu würde ich versuchen, kurze Texte in Zeitschriften zu veröffentlichen und an Wettbewerben teilzunehmen, denn man kann dadurch irgendwann Menschen aus dem sogenannten Literaturbetrieb kennenlernen, die erkennen, was man tut und es fördern wollen.

Du hast am Schweizer Literaturinstitut in Biel studiert. Wie sah dein Studienalltag dort aus? Und wie hat das Studium dort dein Schreiben beeinflusst?
Ich habe in Biel sehr viel mit den anderen Studenten über Literatur gesprochen. Wir haben uns gegenseitig Texte vorgelesen und sie kritisiert. Es gab auch Werkstätten mit bekannten Schriftstellern, in denen über die grundlegenden Probleme im Zusammenhang mit dem Schreiben gesprochen wurde, aber auch ganz konkret über Texte. Mir hat das den Horizont geöffnet, vor allem die Auseinandersetzung mit den Poetiken der anderen Studenten. Ich habe so auch besser verstanden, was eigentlich ich selbst mache und warum. Ich wurde aber auch kritischer mir selbst gegenüber, was gut ist, man muss sehr kritisch mit sich selbst sein. Man muss auch größenwahnsinnig sein. Aber vor allem kritisch mit sich selbst.

Muss man Literarisches Schreiben studiert haben, um gute Texte zu schreiben?
Nein. Das eine hat mit dem anderen nichts zu tun. Zum Schriftsteller wird man, indem man schreibt und indem man dem Geschriebenen misstraut. Nur so kann man es schaffen, unabhängig von allem anderen zu werden und sein Schreiben in allen seinen Möglichkeiten auszubauen und an die Grenzen des Möglichen zu kommen. Ob man diesen Willen in einem Institut oder bei sich zuhause aufbringt, ist einerlei.

Stichwort Schreibkrise: Was tust du, wenn du einmal nicht weiterkommst mit dem Schreiben? Hast du Strategien entwickelt, um aus solchen Schreibkrisen herauszukommen oder wartest du einfach, bis sich der Knoten löst?
Eine echte Schreibkrise hatte ich nur einmal, und sie kam aus einer Lebenskrise heraus, aus einer fehlenden Inspiriertheit gegenüber meinem Leben. Es gibt kein Mittel dagegen, denn den Verlauf einer Lebenskrise kann man nicht beschleunigen. Ich konnte nach der Veröffentlichung meines letzten Romans für über eineinhalb Jahre nichts Gutes mehr schreiben. Ich habe jeden Tag geschrieben, ich hab alles Menschenmögliche getan, war jeden Morgen auf dem Posten und habe gearbeitet – aber es kam nichts raus, das lebendig gewesen wäre. Ich war leer und noch nicht fertig mit dem letzten Buch, ich war noch nicht an einem neuen Punkt. Mein Leben musste sich erst weiterentwickeln, ich musste Dinge loslassen, neue Dinge mussten sich auf natürliche Weise meines Interesses bemächtigen, mich wieder von außen angehen. Die Wirklichkeit musste sich weiterbewegen. Schreibübungen zum Beispiel können die morgendliche Arbeitsunlust manchmal überwinden helfen. Aber eine echte Schreibkrise ist etwas Existenzielles, durch das man mit seinem ganzen Dasein hindurch kommen muss.

Du schreibst gerade an deinem vierten Buch. Auch wenn du noch als junger Autor giltst, hast du doch schon eine Menge Erfahrung und schreibst seit vielen Jahren. Wird es mit der Zeit einfacher, einen Roman zu konstruieren oder sind die Probleme, die sich während des Schreibprozesses stellen, die gleichen wie vor zehn Jahren?
Ich bin jedes Mal von neuem vollkommen blind. Das liegt daran, dass ein Roman soviel mit meinem eigenen Leben zu tun hat und ich im Schreiben meinem eigenen Leben ein Stück weit vorauseile, einer Ahnung hinterher, die ich eben gerade noch nicht abstrakt verstehen kann, sonst müsste ich nicht darüber schreiben, sondern ich könnte diese Ahnung in einem Satz zusammenfassen und damit abhaken. Da mir das Geahnte vorauseilt, muss ich es im Prozess des Schreibens nach und nach einholen. Das braucht sehr viel Zeit, Distanz und intellektuelle Anstrengung. Und da jeder Roman mit dem Leben zu tun hat, das gerade eben passiert, habe ich dafür noch keine fertige Theorie, und die Form des neuen Romans ist daher eine erst zu konkretisierende. Ich habe im Vorfeld eine Idee davon, aber die Konkretisierung der Idee ist Teil meines in der Zeit des Schreibens stattfindenden Lebens und der sich vorwärts entwickelnden Welt um mich.

Das Interview führte Matthias Jügler.

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