"Der Bedarf an lebenslangem Lernen steigt"

Den nächsten Karriereschritt vorbereiten oder etwas ganz Neues ausprobieren: Ein Fernstudium ist heute für Viele das Mittel der Wahl – egal ob es um einen Master in Wirtschaftswissenschaften oder einen Fernlehrgang für literarisches Schreiben geht. Da sich auch das Textmanufaktur-Fernstudium Prosaschreiben immer größerer Beliebtheit erfreut, haben wir Dr. Olaf Zawacki-Richter, Professor für Wissenstransfer und Lernen mit neuen Technologien an der Universität Oldenburg, zum Thema Fernunterricht befragt. Im Interview erzählt er von Studienbriefen per Postkutsche, wie der PC das Fernstudium revolutionierte und warum persönlicher Kontakt das Allerwichtigste ist.

Herr Prof. Dr. Zawacki Richter, wenn es ums Lernen geht, sind Medien unverzichtbar, vor allem beim Fernstudium. Wie hat sich das Lernen in den vergangenen Jahren verändert?   
Das Lernen mit Medien hat schon eine lange Geschichte. Es hängt mit der Entwicklung des Postsystems Mitte des 19. Jahrhunderts zusammen. Denn das machte das Lernen über Lehrbriefe, das so genannte Korrespondenzlernen, überhaupt erst möglich. Ein interessantes Beispiel ist Gustav Langenscheidt: Bevor er einen Verlag gründete, bot er in seiner Schule für brieflichen Unterricht Französisch-Kurse an, zusammen mit seinem Pariser Kollegen Charles Toussaint.
Ein weiterer Entwicklungsschritt war die Gründung der Reformuniversitäten in den 1960er Jahren. Da war das Fernstudium ein wichtiger Baustein. Man wollte breiteren Bevölkerungsgruppen Zugang zu universitärer Bildung ermöglichen. In dieser Zeit hat man im Fernstudium massiv in die mediale Entwicklung investiert. Damals entstand zum Beispiel das Funkkolleg. Doch bei der traditionellen Form des Fernstudiums, das auf Studienbriefen basierte, ging die Kommunikation nur in eine Richtung. Die Studierenden konnten sich nicht direkt mit dem Lehrenden und mit anderen Studierenden austauschen. Weil Lernen nun mal ein sozialer Prozess ist, hatte man da relativ hohe Abbrecherquoten, so um die 90 Prozent.

Was hat sich durch die Digitalen Medien verändert?
Der Durchbruch des computerbasierten und internetgestützten Lernens war für das Fernstudium eine Befreiung. Die Teilnehmer konnten miteinander in Kontakt treten. Heute verwenden alle Weiterbildungsanbieter E-Learning in irgendeiner Form. Denn ihre Zielgruppen sind auf flexible Studienangebote angewiesen.

Was kennzeichnet den typischen Fernstudenten oder die typische Fernstudentin?
Schaut man sich zum Beispiel die Studierenden der Fernuniversität Hagen an, dann liegt das Durchschnittsalter bei Mitte 30. Ungefähr 80 Prozent der Studierenden sind berufstätig. International betrachtet liegt der Anteil der Frauen beim Fernstudium höher als der Anteil der Männer.

Wird lebenslanges Lernen insgesamt wichtiger?
Der Bedarf an lebenslangem Lernen steigt – das sehen wir hier am C3L, dem Zentrum für Lebenslanges Lernen der Universität Oldenburg. Und das zeigen auch internationale Zahlen. Es reicht schon lange nicht mehr aus, nach dem Abitur eine Ausbildung oder ein Studium zu absolvieren – und darauf zu vertrauen, dass dieses Wissen für das ganze Berufsleben hält.

In welchen Bereichen wollen sich die Menschen weiterbilden?
Es gibt natürlich Fächer, die sich weniger für ein Fernstudium eignen, beispielsweise Naturwissenschaften, die viel Laborpraxis erfordern. Sehr weit verbreitet sind dagegen Wirtschaftswissenschaften und Angebote im Gesundheitsbereich. Aber auch Geistes-, Kultur- und Sozialwissenschaften lassen sich sehr gut in der Form des Fernstudiums vermitteln. Textbasierte Studiengänge, wie zum Beispiel Germanistik oder Literaturwissenschaften, wo es um Kommunikation und Texte geht, sind da auch stark.  

Was ist wichtig, damit Fernlernen funktioniert?
Studien zufolge sinken die Abbrecherquoten, je höher die Interaktion im Studium ist. Gute Betreuung ist wichtig. Werden die Teilnehmer durch einen Tutor persönlich betreut und können sie mit den Kommilitonen zusammenarbeiten, dann sind die Abbrecherquoten ähnlich wie bei einem Präsenzstudium.

Warum ist der persönliche Kontakt beim Fernstudium besonders wichtig?
Fernuniversitäten sind helfende Organisationen. Denn die Zielgruppe ist durch alle möglichen Faktoren abgelenkt, durch Anforderungen im Beruf, in der Familie – vielmehr als ein 18-jähriger der zum ersten Mal an die Hochschule kommt. Wenn ich Fernunterricht anbiete, muss ich ein Gerüst der Betreuung und des Supports aufbauen, um die Zielgruppe so weit wie möglich zu entlasten. Bei einem guten Fernstudienanbieter ist die Beratung der Teilnehmer intensiver als an einer Präsenzuniversität.


Professor Dr. Olaf Zawacki-Richter promovierte über die Entwicklung von Online-Studiengängen und arbeitete an der Frankfurt School of Finance & Management als Projektleiter für internetgestützte Weiterbildungsprojekte im Bankensektor. Zawacki-Richter vertrat eine Professur für Bildungstechnologie an der FernUniversität in Hagen und wurde im Fach Erziehungswissenschaften mit dem Schwerpunkt Weiterbildung an der Universität Mainz habilitiert. Seit 2010 ist er Professor für Wissenstransfer und Lernen mit neuen Technologien an der Universität Oldenburg. Zu seinen Schwerpunkten gehören die Fernstudienforschung und die Weiterbildungsforschung.



Hintergrund

Studieren von zu Hause aus – bei den Deutschen ist das zunehmend beliebt: 423.123 Menschen bildeten sich 2014 per Fernstudium oder Fernlehrgang weiter, drei Prozent mehr als im Vorjahr. Das zeigt die Fernunterrichtsstatistik des Branchenverbandes Forum DistancE-Learning. Die Teilnehmer von Fernstudien-Angeboten sind demnach deutlich älter als Studienanfänger an Präsenz-Unis: Die Gruppe der 26- bis 30-jährigen dominiert mit rund 20 Prozent, gefolgt von den 41- bis 50-jährigen (17 Prozent). Besonders beliebt sind Lehrgänge aus dem Segment Wirtschaft und kaufmännische Praxis. Kurse zu literarischem Schreiben, kreativem Schreiben und Belletristik sind eher ein Nischenbereich. Die Methoden des Fernlernens mit ihrer Kombination aus persönlicher Betreuung und individuellem Lernen bieten sich allerdings für literarisches Schreiben in besonderem Maße an.

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