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Eine Liebesgeschichte. Das ist natürlich das romantische Zueinanderfinden zweier Menschen, die einander vervollständigen und die perfekte Symbiose bilden. So eine Geschichte um herzbewegende Harmonie und ein beneidenswert ergreifendes „Für immer“. Heile Welt und Happy End.
Du willst eine gefühlvolle Romanze schreiben? Dann vergiss alles, was mit Harmonie und Glückseligkeit zu tun hat! Vergiss Candle Light Dinner in Paris oder Gondelfahrten in Venedig! Es geht nicht um das Glück, das ist langweilig. Es geht um all das, was das Glück verhindert. Von der Liebe zu erzählen heißt, von dem zu erzählen, was trennt!
Natürlich wirst du einen Kuss brauchen, vielleicht auch Sex. Deine Protagonisten müssen sich natürlich kennen oder kennenlernen. Irgendetwas muss die beiden zueinander hinziehen – vor allem aber müssen sie sich abstoßen. Die Helden dürfen sich ihrer Liebe nicht sicher sein. Spannung entsteht nicht zwischen zwei Polen, die sich seit fünf Jahren das Badezimmer teilen und über den besten Umgang mit der Zahnpastatube diskutieren.
Vergiss die heile Welt, die gibt es nicht, nicht mal im Märchen. Die Welt, auch die der Liebesgeschichten, ist höchstens heilbar. Manchmal ist sie nicht mal das, dann ist am Ende alles hin.
Du magst glauben, dass du zwei Figuren zueinanderbringen musst. In Wahrheit musst du sie trennen. „Die Liebe lebt von ihrer Distanz zum Objekt, obwohl es als Streben in aller Liebe liegt, diese Distanz zu überwinden“, sagt Ferdinand Eber und eigentlich wissen wir alle: Harmonie und Einigkeit machen weder die Liebe noch den Leser satt.
Die Protagonisten wären das perfekte Paar, wären da nicht die antagonistischen Kräfte, die ihnen entgegenstehen. Sie wären perfekt, sie sind es nicht. Das perfekte Paar teilt seine Probleme und Konflikte nicht mit der Welt, es klärt sie unter sich und wohnt vielleicht in deiner Nachbarschaft. In deiner Liebesgeschichte aber wohnt es nicht!
Dort wird sich gestritten und missverstanden, dort wird sich über Jahre verpasst, dort bleibt Sehnsucht eine gefühlte Ewigkeit unerfüllt. Dort wissen die Helden nicht, wer gut für sie ist. Sie kommen aus unterschiedlichen Welten, sie sprechen nicht die gleiche Sprache. Sie suchen ihr Glück und laufen in die falsche Richtung. Sie kennen sich selbst und ihre Bedürfnisse nicht. Sie halten Mitleid, Freundschaft oder Leidenschaft für Liebe. Sie machen alles falsch und müssen für ihre Fehler gerade stehen.
Zwei Helden mit einer Vergangenheit, eigenen Zielen und Bedürfnissen prallen aufeinander, um das Leben des anderen zu verändern. Sie können viele Gefühle füreinander empfinden und eine ganze Bandbreite an Emotionen abfrühstücken. Liebe allein wird ihnen kaum gerecht werden.
Am Anfang waren die Protagonisten sich vielleicht gleichgültig oder fanden sich bloß ganz nett. Vielleicht mochten sie sich auch gar nicht, aber eine paar Prisen Liebe und Leidenschaft später hassen sie sich dann bis aufs Blut.
Möglicherweise auch nicht, möglicherweise gibt es andere Probleme. Hauptsache niemand hat ein Candle Light Dinner, das dann nicht mindestens in einer Katastrophe endet.
Gegebenenfalls wohnen die Helden auch zusammen und erörtern den Umgang mit der Zahnpastatube. Dann ist das am Anfang eben so und auf den ersten Blick auch gerne harmonisch – aber eben nur auf den ersten Blick. Auf den zweiten fliegen die Fetzen. Da geht die Welt unter. Die Liebe und der Leser bangen um das Glück und glauben, dass das nie wieder gut wird.
Außer, es wird wirklich nie wieder gut. Außer, es gibt kein Happy End, sondern einen tragischen Tod oder sterbende Gefühle. Wenn die Liebenden am Schluss verzichten müssen, dann soll es ihnen vorher auch ein bisschen gut gehen. Dann, und nur dann darf auch das Candle Light Dinner ganz harmonisch ablaufen. Es darf – es muss nicht. Exquisites Essen allein macht noch keine Sehnsucht. Gibt es etwas Langweiligeres, als zu lesen, wie zwei Menschen sich über Kerzenflammen hinweg anschmachten?
Sollte die Romanze aber doch gut ausgehen und die Protagonisten am Ende glücklich sein, dann müssen die beiden sich dieses Glück erst verdienen. Sie dürfen es nicht zu einfach haben. Wer am Ende in ewige Glückseligkeit entlassen wird, darf vorher ruhig durch die Hölle gehen.
Dass die beiden da auch wieder rausfinden müssen, dass es nicht so einfach ist, erschüttertes Vertrauen wiederherzustellen oder weit entfernte Welten miteinander zu verbinden und dass das die wirkliche Herausforderung ist, das ist eine andere Geschichte … eine Liebesgeschichte.


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Anna Basener (geb. 1983 in Essen) finanzierte ihr Studium der Kulturwissenschaften und ästhetischen Praxis in Hildesheim mit dem Schreiben von Heftromanen und arbeitet nun als Lektorin für den Bastei Verlag in Köln. www.annabasener.de

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