Jeder Autor hätte es gern – das gewisse Etwas, das seinen Roman unverwechselbar und möglichst erfolgreich macht. Herr Bracht, worin besteht dieses Etwas Ihrer Erfahrung nach?
Zunächst sollte der Autor einen Stoff wählen, zu dem er eine persönliche Beziehung hat, beispielsweise beim historischen Roman eine Epoche, die ihn fasziniert. Wenn er Kriminalromane schreibt, kann er die in einem Milieu ansiedeln, das er aus eigener Erfahrung kennt oder das ihn reizt. Die zweite Ebene ist die stilistische: Es ist wichtig, dass ein Autor einen eigenen Ton findet, auch wenn er Unterhaltungsliteratur schreibt. Dass er aus der individuellen Beobachtung schöpft, statt standardisiert zu beschreiben.

Es gibt unzählige Bücher und Texte im Internet, wie man einen Roman schreibt. – Empfinden Sie solche Anleitungen als förderlich?
Es ist auf jeden Fall hilfreich, solche Texte zu lesen – zumal wenn sie von anderen Autoren geschrieben wurden, wie beispielsweise Stephen King oder Elisabeth George. Für literarisch anspruchsvolle Texte gibt es das Buch von Josef Haslinger und Hans-Ulrich Treichel: „Wie werde ich ein verdammt guter Schriftsteller?“ Solche Texte sensibilisieren für die handwerkliche Seite des Schreibens, für die Gestaltung von Dialogen und Beschreibungen, dafür, wie man einen Plot aufbaut. Aber der Autor sollte nicht sklavisch an solchen Ratschlägen hängen, sondern sich beim Schreiben auch davon lösen und seiner Intuition vertrauen. Sonst haben wir irgendwann eine Einheitsliteratur, weil alle Bücher nach den gleichen Prinzipien aufgebaut sind.

Sehen Sie eine solche Tendenz, werden die angebotenen Manuskripte sich immer ähnlicher?  
Mir fällt auf, dass die Sprache genormter ist, als noch vor einigen Jahren. Ich bekomme heute seltener Texte, die stilistisch sehr riskant sind, mit Metaphern arbeiten, auch mal mit langen Sätzen, vielleicht auch ausgedehnte innere Monologe haben. Ich erhalte weniger unreflektiert autobiographische Texte, mehr handwerklich gute Romane. Die Texte sind standardisierter, aber auch professioneller. Manchmal fehlt es dabei an dem Überschüssigen, dem besonderen Etwas.   

Womit könnte das zusammenhängen?
Für junge Autoren ist es sicherlich nicht leichter geworden, einen Verlag zu finden. Einerseits wird heute mehr deutsche Literatur veröffentlicht als noch vor ein paar Jahren. Andererseits hat die Zahl der Autoren, die ernsthaft schreiben, zugenommen. Darum ist es schwerer geworden, einen Verlag zu finden. Auch der Erfolgsdruck ist heute größer. Verlage können es sich nicht mehr leisten, erst einmal abzuwarten, ob sich ein Autor etabliert. Schon das erste Buch soll sich gut verkaufen, damit der Autor am Markt eine Chance hat.  

Hätten Sie lieber mehr eigenwillige, dafür nicht ganz so professionelle Manuskripte auf dem Tisch?
Als Lektor beschäftige ich mich mit dem, was da ist, was ich von den Agenturen angeboten bekomme. Und darunter sind immer wieder sehr gute Texte, die ich gern lese und veröffentliche. Es gibt auch gute Texte, die ich absage, weil sie nicht ins Programm passen, für die ich aber aufrichtig hoffe, dass ein anderer Verlag sie veröffentlicht.

Wie kann ein Autor das gewisse Etwas hervorlocken und aufs Papier bannen?
Er sollte seine Beobachtungsgabe schärfen und auch trainieren. Wie ein Sportler bestimmte Muskelgruppen trainiert, muss der Autor seine Phantasie und sein Schreibvermögen wach halten. Da hilft es, viel und vor allem bewusst zu lesen, sich mit anderen Texten intensiv zu beschäftigen. Außerdem kann es sinnvoll sein, sich regelmäßig Notizen zu machen, persönliche Beobachtungen festzuhalten, absichtslos zu schreiben. Der Autor sollte nicht nur am Plot arbeiten, sondern zwischendurch immer wieder seine Wahrnehmung schulen und an seiner sprachlichen Genauigkeit feilen.

Dr. Edgar Bracht, Studium Germanistik / Geschichte und Promotion in Marburg, danach ein Jahr Arbeit als Stadthistoriker (über Fremdarbeiter und Kriegsgefangene unter dem NS-Regime), zehn Jahre lang Lektor bei Bastei Lübbe (zuständig für historische Romane, Thriller und True Crime), anschließend Lektor im Blessing Verlag (Random House).

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