Herr Schultze-Kossack, „Der Bestseller-Code? Neue Herausforderungen für Autoren“, so war Ihr Vortrag beim Autorensalon der Textmanufaktur in Frankfurt überschrieben. – Gibt es ihn denn, den Bestseller-Code?  
Nein, den gibt es natürlich nicht. Aber Bestseller sind oft die kleine Abweichung von der Norm. Die Bestseller der letzten Jahre, die von unbekannten Autoren kamen, waren meist überraschend. Oft sind das Texte, die ein erfolgreiches Muster ein bisschen verändern, beispielsweise die Bücher des Försters Peter Wohlleben: Wald ist in Deutschland ein bekanntes und breit publiziertes Thema. Allerdings kannten die Leute das bisher eher aus der Wissenschaft oder dem Journalismus, nicht aus der Sicht eines Försters. Es scheint zu funktionieren, persönliche Erfahrungen mit Sachthemen zu verbinden. Zudem bringt der Autor ein gewisses Medienpotential mit, kann auch in einer Talkshow auftreten und auf Englisch ebenso wie auf Deutsch Veranstaltungen und Lesungen machen. Trotzdem war der Erfolg für mich als Agent nicht vorhersehbar.

Ihre Agentur vertritt Autoren aus ganz unterschiedlichen Genres – von Sachbüchern über Unterhaltung, erotische Literatur, Belletristik bis hin zu Kinderbüchern. – Gibt es da so etwas wie einen gemeinsamen Nenner?
Ich finde es toll, als Agent alles Mögliche machen zu können, sich nicht spezialisieren zu müssen. Das ist wie bei einem Publikumsverlag oder einer großen Buchhandlung: Wir bieten ein breites Spektrum, sowohl Literatur als auch Unterhaltung. Der gemeinsame Nenner ist, dass wir jeden Titel mit Herzblut machen – und ich denke, das gilt auch für unsere Autoren. Wir haben so gut wie keine Autoren, die auf Bestellung ein Buch machen. Wer für uns zum Beispiel einen Krimi schreibt, mag das Genre und liest es auch selbst gern. Wichtig ist auch die Vertrauensbasis mit Autoren. Wir arbeiten mit ihnen als Team zusammen – das im besten Fall durch den Verlagslektor zu einem Dreierteam erweitert wird.

Auf den Webseiten vieler Agenturen findet sich der Hinweis, nur Textproben einzuschicken, die zum Portfolio der Agentur passen. – Wie ist das bei Ihnen: Gibt es da gar keine Einschränkungen?
Wir versuchen ja immer diese Begrenzungen einzuziehen, aber es klappt eigentlich nie. – Und die Arbeitsersparnis durch solche Beschränkungen ist auch nicht so groß, dass es sich lohnt, die Vielfalt aufzugeben. Es geht vor allem um die Leidenschaft für den Stoff. Wenn wir etwas auf den Tisch bekommen und einer im Büro sagt: Das gefällt mir, der Autor hat Potential, dann sind wir schnell bereit, mit dem Autor den nächsten Schritt zu gehen. – Aber wir bekommen natürlich sehr viele Manuskripte zugeschickt. Wer vorher wissen will, ob er bei uns richtig ist, kann anrufen und sich informieren. Ich kann am Telefon natürlich nicht alles besprechen, aber immerhin sagen: Das interessiert uns oder interessiert uns nicht.

Ihr breites Programm bringt auch den Kontakt zu ganz verschiedenen Verlagen mit sich. Treten Sie an einen großen Publikumsverlag anders heran als an einen kleinen spezialisierten Verlag?
Ja, natürlich. Man muss die Bedürfnisse der Verlage kennen, die jeweilige Art, ein Buch zu kalkulieren, die Verkaufserwartungen. Ich muss auch dem Autor erklären, was er von dem Verlag erwarten kann, wenn er unterschreibt: Könnte er da überhaupt einen Bestseller generieren? Kann der Verlag Presseaktivitäten leisten? Was muss der Autor selbst tun? Aber letztendlich wollen alle Verlage ihre Bücher verkaufen und an den Leser bringen.

Ihr breites Spektrum zeigt auch: Leser ist nicht gleich Leser. Ist die Leserschaft heute vielfältiger als, sagen wir, vor 20 oder 30 Jahren?
Die Leserschaft ist vielfältiger, aber das Angebot ist auch einfach größer geworden. Die Verlage bringen sehr viele Neuerscheinungen heraus, um die Marktflächen im Handel zu füllen. Auf der anderen Seite nimmt die Zahl der Buchverkäufe und der Leser ab. Da fällt es mehr auf, was gekauft wird und welche Genres sich als besonders erfolgreich herauskristallisieren.  

Und wie sieht es bei den Autoren aus? Hat sich die Gruppe derer verändert, die schreiben und Bücher veröffentlichen?    
Auch die wird vielfältiger, natürlich. Aber der Großteil der eingereichten Manuskripte ist immer noch die Genreliteratur – Kriminalromane, Frauenunterhaltung, Biografien in verschiedenen Varianten. Was natürlich wegfällt, sind die vielen persönlichen Kriegserinnerungen. Aber an ihre Stelle treten mehr und mehr neue Erinnerungen, andere persönliche Erfahrungsgeschichten. Das können tragische Schicksalsgeschichten sein, aber auch positive Geschichten, beispielsweise über eine Weltreise oder den besonderen Ausbruch aus dem Alltag.  

Verändert sich auch die Art und Weise des Erzählens?
Das Erzählen wird natürlich durch Medien geprägt, beispielsweise durch Fernsehserien. Da geht es nicht mehr um eine Spielfilmlänge oder eine Spielfilmlänge mit Fortsetzung, sondern die Figuren entwickeln sich im Laufe von sieben oder acht Staffeln. Dieses serielle Erzählen überträgt sich auch aufs Buch. Der Leser erwartet Fortsetzungen – und erfolgreiche Bücher werden heute oft fortgesetzt. Auch in bestimmten Genres gibt es neue Entwicklungen. In der Kriminalliteratur beispielsweise spielt das Belletristische, der Alltag eine größere Rolle. Es wird von der Familie, der Arbeitswelt erzählt. Darin finden die Leser sich immer wieder, weil jeder den Topos Familie kennt.  

Was raten Sie Debütanten?
Ganz wichtig ist Geduld. Ich habe den Eindruck, dass Bücher heute immer schneller entstehen müssen. Das gilt für die Verlage und noch extremer im Selfpublishing. Es gibt bei den Autoren die Tendenz, möglichst schnell eine Lösung zu finden – wenn nicht mit einem Verlag, dann veröffentlicht man sein Buch eben selbst. Die Neigung, den Text nochmal zu lesen, zu überarbeiten, vielleicht auch die Figurenkonstellation zu überdenken, geht dabei oft verloren. Schreiben ist Arbeit und kommt immer vor dem Auftritt in den diversen sozialen Medien.

Lars Schultze-Kossack, geboren 1974, lebt in Hamburg und Zürich. Mit seiner Frau Nadja Kossack leitet er die Literarische Agentur Kossack in Hamburg. Zu seinen Klienten gehören unter anderem Peter Wohlleben, Stefan Aust, die Bestsellerautorin Anne Jacobs, Waris Dirie, Mesut Özil, Rainer Löffler, der Autor und Übersetzer Gisbert Haefs (Bob Dylan). Der Agent und studierte Historiker war außerdem in der Beratung, im Buchhandel, als Autor, Musiker und Verleger (Europa Verlag) tätig. Weitere Informationen: www.mp-litagency.com

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