Martin Hielscher hat nach Stationen als Lektor bei Luchterhand und Kiepenheuer und Witsch seit 2005 die Programmleitung im literarischen C.H. Beck Verlag inne. Auch als Übersetzer (Richard Ford, William Gaddis, Lorrie Moore) und Biograph (Wolfgang Koeppen, Uwe Timm) trat er hervor. Nach Gastprofessuren an der Washington University und am Deutschen Literaturinstitut Leipzig ist Martin Hielscher nun Honorarprofessor an der Otto-Friedrich-Universität Bamberg. Im Interview spricht er über die Anforderungen an Manuskripte, das Leben von Autoren und das ideale Exposé.


Der Verlag C.H. Beck hat im deutschen Literaturbetrieb eine Sonderstellung, ein großer juristischer Verlag steht hinter dem kleinen belletristischen Verlag. Wie schlägt der sich zwischen Kleinstverlagen und den großen Konzernverlagen?
Das Programm kann in der Tat vor allem existieren, weil es den juristischen Verlag gibt. Der Beck Verlag ist 250 Jahre alt und immer noch in den Händen der gleichen Familie. Das ist in dieser Form einzigartig in Europa. Das gibt eine solide Basis. Das Literaturprogramm soll sich zwar rechnen, aber es ist auch eine Visitenkarte.

Wie kommen die Autoren zu Ihnen?
Ich suche mit dem Geigerzähler nach dem einen Manuskript, nach dem einen Autor, der perfekt ins Programm passt, und dann versuche ich, denjenigen über drei, vier Stationen aufzubauen.

Was bedeutet das, einen Autor aufzubauen?
Es gibt eine Fülle von Neuerscheinungen, doch es steht nicht jedem die gleiche Sprache zur Verfügung. Es gibt auch junge Autoren oder Anfänger, die noch gar nicht die technischen Mittel haben. Schreiben ist auch ein Handwerk, das beherrscht man nicht von Vornherein. Für mich ist die Frage: Gebe ich einem Autor oder einer Autorin eine Chance, auch wenn der Text noch nicht hundert Prozent perfekt ist, ich aber merke, dass da eine Kraft dahintersteckt, eine Stimme, der ich zutraue, beim dritten oder vierten Buch richtig gut zu sein? In den seltensten Fällen sind die Autoren, die wir heute als berühmte Autoren kennen, mit dem ersten Buch schon perfekt gewesen. Normalerweise schreiben sich die Leute über zehn, zwanzig Jahre zum Erfolg. Es gibt einfach größere und kleinere Begabungen und es gibt auch eine größere oder kleinere Bereitschaft, an seiner Sprache zu arbeiten. Ich glaube, dass es viel Arbeit ist. Schreiben ist Arbeit. Und sich nicht zu früh mit etwas zufrieden zu geben. Uwe Timm hat von einem seiner letzten Romane dreizehn Fassungen geschrieben. Das ist Arbeit, Arbeit, Arbeit. Und wegschmeißen, wegschmeißen, wegschmeißen.

Ein literarisches Programm zeichnet sich also vor allem durch Arbeit an der Sprache aus?
Genau. Für mich heißt das erst mal ein Umgang mit Sprache, und zwar ein Umgang, in dem Sprache zum Problem geworden ist. Die Sprache ist nicht einfach das Instrument, nicht das Vorgefundene oder Gegebene, was mir so zufällt, sondern die Sprache ist selber schon das Problem. Wie formuliere ich das? Wie baue ich einen Satz? Und zwar einen Satz, der nicht so gebaut ist wie die Normalsprache im Alltag. Genau das ist eben nicht Literatur. Wenn man von anspruchsvoller Literatur redet, redet man von Literatur, die einen reflektierten Umgang mit Sprache erkennen lässt. Und das ist das Segment, in dem ich mich mit meinem Programm bewege und das wesentliche Kriterium: Ist das ein Text, der Sprache reflektiert oder ist das ein Text, der Sprache im Wesentlichen benutzt?

In der Unterhaltungsliteratur hat Sprache nur die Funktion, das Drama zu transportieren. Sie muss transparent sein, sie darf nicht stören, ähnlich wie bei konventionell geschnittenen Filmen.
Genau. Ich lese zum Beispiel sehr gerne Krimis. Und hier liegt die Qualität vor allem darin, ob es dem Autor gelingt, die Genrevorgaben zu erfüllen oder nicht. Auch das kann ich natürlich in einer besseren und einer weniger guten Sprache tun, kann Klischees bedienen oder nicht. Klischee heißt: eine Bedeutung, über die nicht mehr nachgedacht wird, die unreflektiert abgerufen wird und insofern nicht mehr zu irgendeiner Art von Erkenntnis beiträgt. Und die Gefahr bei Genreliteratur ist sehr groß, dass sie Klischees bedient, weil es da eben gewisse Regeln gibt. Man muss nur bei seinem eigenen Schreiben wissen, worauf man eigentlich zielt: Orientiere ich mich an Herta Müller oder an dem guten Thriller? Dann muss ich mich aber darüber informieren, wie ein guter Thriller aussieht und was die Kriterien eines guten Thrillers sind. Es gibt natürlich alle möglichen Stufen dazwischen. Man spricht in der Verlagswelt auch oft von gehobener Unterhaltung. Das sind Romane, die gut erzählt sind, handwerklich gut gemacht, aber nicht überwältigend toll geschrieben. Selbst in meinem literarischen Programm habe ich das ein oder andere Buch, wo ich sagen würde, das ist gehobene Unterhaltung. Aber die Sprache muss immer ein bestimmtes Niveau haben.

Das berührt ja auch die Frage, ob ich als Autor vom Schreiben leben will oder nicht. Selbst bei gutem Erfolg kann der Belletristikautor in der Regel nicht davon leben oder?
Leben können die allerwenigsten davon. Bei anspruchsvoller Literatur liegt eine Standardauflage bei 3.000 bis 5.000 Exemplaren, das ergibt für den Autor etwa fünf- bis zehntausend Euro pro Buch. Davon kann ja kein Mensch leben. Dann kommen noch Lesungen dazu, vielleicht der eine oder andere Literaturpreis. Relativ viele leben von dem breiten Angebot von Stipendien, Literaturpreisen und Förderstipendien, das ist im deutschsprachigen Raum sehr luxuriös und einzigartig. Da kann man sich lange durchlavieren, das ist aber trügerisch, weil viele dieser Preise und Stipendien an eine Altersgrenze gebunden sind. Bis 50 ist man ja noch ein junger Autor, dann geht es aber rapide bergab. Und es gibt diese Generation von Autoren zwischen 50 und 60, wenn die nicht einen durchschlagenden Erfolg hatten, dann verschwinden die manchmal noch zu Lebzeiten aus den Buchhandlungen. Also entweder man hat noch einen anderen Beruf, oder der Partner verdient das Geld, oder man lebt wirklich sehr, sehr ärmlich. Uwe Timm etwa kann sehr gut von seinen Büchern leben, wobei der größte Erfolg das „Rennschwein Rudi Rüssel“ ist, ein Kinderbuch, das verfilmt worden ist und das mittlerweile über eine Million Mal verkauft wurde. Das war ein Quantensprung in seinem Leben. Hinzu kommt, dass die Entwicklung im Großen und Ganzen hin zur Unterhaltungsliteratur im weitesten Sinne geht. Wir können uns noch glücklich schätzen, dass es die Buchpreisbindung noch gibt, die bestimmte anspruchsvollere Segmente schützt. Wenn die wegfällt, rechnen sich die Bücher nur noch über die Auflage, weil die Ladenpreise automatisch sinken würden. Hohe Auflagen erzielt man aber nicht mit anspruchsvoller Literatur, und die würde dann in einer Nische verschwinden. Dann könnte man noch weniger davon leben.

Wie kommt ein Autor am besten zu einem Verlag?
Am wenigsten erfolgversprechend ist es, das Manuskript breit rumzuschicken. Die Verlage kriegen jeden Tag dutzende unverlangt eingesandte Manuskripte, und ich muss etwa zwanzig Titel im Jahr sowieso schon betreuen. Ich kann gar nicht jeden Tag fünf Manuskripte lesen. Ich muss die Titel lektorieren, redigieren, und ich habe um jedes Buch herum zig Vorgänge. Ich bin der Knotenpunkt für alle Vorgänge, die um ein Buch herum stattfinden – vom Umschlag bis zum Klappentext, von der Herstellung bis zur Werbung. Jeder, der irgendwas mit dem Buch zu tun hat, wendet sich an mich. Und der Autor oder die Autorin wendet sich auch immer an mich. Das heißt, mein Alltag ist in hohem Maße geprägt von organisatorischen Abläufen, und weniger vom Lesen von Manuskripten. Dafür gibt es andere Kanäle, etwa die Agenturen. Und die Autoren sind untereinander vernetzt, bekommen Sachen zugeschickt, geben manchmal Seminare. Und dann fahre ich jedes Jahr zum Bachmannwettbewerb nach Klagenfurt. Ich bin beim Open Mike in Berlin. Ich lese tatsächlich Literaturzeitschriften und bin auf einen meiner Autoren durch einen Text in einer Zeitschrift gekommen. Ich bin auch schon in Seminaren, die ich geleitet habe, auf Autoren gestoßen. Es gibt vielfältigste Wege, auf denen mich Manuskripte erreichen, aber meistens gibt es irgendeinen Vermittlungsweg, bei dem es schon eine Vorauswahl gegeben hat. Neulich rief mich Wilhelm Genazino an und empfahl mir eine Kollegin, die bei den Verlagen nicht weiterkommt. Und dann schau ich da mal rein. So läuft das.

Die unverlangt eingesandten Manuskripte werden gar nicht angeschaut?
Die werden, sagen wir mal, in einem relativ großen Zeitraum einmal durchgesehen, auch von mir, aber nicht nur von mir allein. Da schaut dann auch die Assistentin oder Volontärin mit rein.

Und wird dann auch der Text gelesen oder nur das Exposé?
Beides. Erst das Exposé, dann der Text. Aber man kann nicht zweihundert Seiten durchlesen, kein Mensch kann das. Die Verlage sind personell nicht entsprechend besetzt, weil das ein Metier ist, das nicht die Umsätze abwirft. Die meisten Verlage haben eine so genannte Mischkalkulation, das heißt, stärker kommerzielle Bücher finanzieren eher nichtkommerzielle Bücher mit. Es gibt ja auch Verlage, die machen überhaupt keine anspruchsvolle Literatur, sondern nur kommerzielle Titel.

Wie muss so ein Exposé beschaffen sein, damit es Neugier weckt?
Es gibt sicher kein Standardexposé, das für alle zutrifft. Ein Exposé sollte prägnant sein, nicht zu lang, und es sollte keinerlei Wertungen enthalten. Wertungen nimmt der jeweilige Leser vor, nicht der Autor. Man liest als Lektor im Wesentlichen ein Exposé, um sich zu orientieren, um zu wissen, wo das spielt, worum es geht, wer die wichtigsten Figuren sind und um was für eine Geschichte es sich handelt. Wenn jemand aus vier verschiedenen Perspektiven erzählt, muss ich das natürlich wissen, wenn ich eine besondere stilistische Tonlage habe, wenn ich eine besondere Perspektive benutze, wenn mein Text irgendwie anders ist als ein konventioneller, dann muss ich das im Exposé sagen, damit der Leser vorgewarnt ist und weiß, was da auf ihn zukommt. Und das alles möglichst als Normseiten verfasst, also 30 Zeilen à 60 Anschläge, man sollte kein Augenpulver abliefern, wo man, wenn man oben an der Seite anfängt, nach zwei Wochen unten angekommen ist. Da ist man schon entmutigt, wenn man das in der Hand hat. Man sollte das augenfreundlich gestalten, denn Lektoren lesen tagein tagaus. Ein Exposé muss neugierig machen auf den Text und es muss denjenigen, der das liest, orientieren können. Manchmal ist es hilfreich zu schauen, ob es vergleichbare Bücher gibt. Das verrät eine gewisse Professionalität, denn zum Schreiben gehört einfach auch ganz viel Lesen.

Aber kann das nicht auch nach hinten losgehen, wenn man sich mit Thomas Bernhard oder Robert Musil vergleicht?
Klar, man sollte sich überlegen, mit wem man sich vergleicht. Ich meine das mehr in Richtung eines vergleichbaren Textes, gerade wenn man in den Genrebereich geht. Oder man sagt: Ein wichtiger Einfluss auf mein Schreiben war der und der. Das kann schon mal helfen.

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