Titus Müller und Kathrin Lange sind zwei professionelle Autoren, die sich vor allem im Bereich des historischen Romans einen Namen gemacht haben. Beide können längst vom Schreiben leben – und leben es mit Leidenschaft. Im Interview sprechen sie über neue Entwicklungen im Buchmarkt und den Ursprung ihrer Geschichten, darüber, ob das Internet unsere Lesegewohnheiten verändert und warum man sich ab und zu mal am Bahnhof eine amerikanische Angelzeitschrift kaufen sollte.


Ihr schreibt beide historische Romane. Wo verortet ihr euch zwischen Markt und eigenen Bedürfnissen beim Schreiben?

Titus Müller: Von der Vielzahl an Ideen, die ich habe – ich kann ja in meinem ganzen Leben nicht so viele Romane schreiben, wie ich gern würde – suche ich mir die aus, die auch Leser finden. Ich verarbeite Ideen, die mir zusagen, aber ich lasse manche Idee beiseite, bei der ich mir sage, die würde wahrscheinlich wenig Leser finden.

Kathrin Lange: Geht dir das nicht so, dass du sagst: Wenn du mal alt bist und viel Geld verdient hast, dann machst du mal ein Herzblut-Projekt?

Titus Müller: Ich habe eben fünf Herzblut-Ideen und suche mir davon die raus, die am meisten Leser findet. Ich fühle mich eigentlich frei, muss aber in meiner Freiheit auch darauf achten, dass der Kühlschrank voll bleibt.


Muss es denn immer ein historischer Roman sein?

Kathrin Lange: Ich arbeite an vielen Sachen. Im Moment sind es hauptsächlich historische Romane, aber ich schwenke gerade um auf Fantasy und möchte es in Zukunft gern zweigleisig laufen lassen, weil mir beides Spaß macht. Was die Herzblut-Projekte anbelangt: Das sind historische Stoffe oder Figuren, über die ich viel Wissen angesammelt habe, die aber kaum jemanden interessieren dürften (lacht). Die kann ich irgendwann einmal machen, wenn ich tatsächlich soviel Geld verdient habe, dass mir eine Auflage von 400 reicht (lacht).


Klingt fast nach Sachbuch.

Kathrin Lange: Das sind schon Romane, aber weit abseits vom klassischen Weg. Wenn ich über Luther schreibe, dann weiß der Verlag, dass er davon mindestens 10.000 Stück verkauft, wenn ich aber über Regiomontanus schreibe, dann muss ich das erst mal lange erklären.

Titus Müller: Wobei ich mal behaupten möchte, dass man für die meisten Themen den Zuckerwürfel findet, auf dem man die Medizin servieren kann. Wenn ein sperriges Thema genug Liebesgeschichte oder Drama enthält, dann kannst du das Thema auch mitverkaufen.

Kathrin Lange: Das ehrt dich, dass du das noch glaubst (lacht), ich bin damit zweimal gegen die Wand gefahren. Mein zweiter Roman war eigentlich ein Thriller, ein packender Thriller sogar, der ist gefloppt, weil es um Astronomie ging.


Und reizt euch „richtige“ Literatur?

Titus Müller: Die Suhrkamp-Literatur reizt mich ehrlich gesagt nicht so. Mir geht es immer mehr um die Inhalte. Ich mag auch eine musikalische und genaue Sprache, aber die meiste Freude ziehe ich aus dem Thema, der Geschichte, die ich erzählen kann. Es ist also nicht so, dass ich mir die ganze Zeit sage: Eigentlich will ja ein Sprachornament abliefern.

Kathrin Lange: Bei mir hängt es am Thema. Ich habe ein oder zwei Themen, die man in einem Unterhaltungsroman schlecht behandeln könnte, da würde ich gern einmal etwas Literarisches oder auch was Kürzeres draus machen. Die Frage stellt sich momentan aber nicht, weil ich zu viele andere Sachen machen möchte und auch machen muss, weil ich Verträge habe.

Ihr kennt beide den Buchmarkt schon etwas länger. Seht ihr eine Entwicklung über die letzten Jahr im Allgemeinen und in eurem Genre im Speziellen?

Titus Müller: Der Buchhandel stürzt sich immer mehr auf die Spitzentitel; immer weniger Titel dominieren den Markt, und eine große Menge rutscht in die zweite oder dritte Reihe. Das ist ein bisschen beängstigend. In unserem Genre ist die erste Begeisterung à la „Es ist ein historischer Roman, es läuft garantiert“ abgeklungen, und nun orientieren sich die Verlage neu und schauen, welche Themen sie bringen können oder inwiefern sich der Roman von anderen abhebt. Die Goldgräberstimmung hat ein bisschen nachgelassen, wobei mir Buchhändler versichern, dass es schon seit Jahrzehnten so geht, dass es mal eine Goldgräberstimmung gibt, dann Desillusionierung, dann wieder Goldgräberstimmung und so weiter. Also das Genre wird sicher bestehen bleiben, positioniert sich aber gerade neu.

Kathrin Lange: Ich glaube auch, dass sich der historische Roman auf einer hohen Ebene konsolidiert. Was die allgemeine Entwicklung angeht, stimme ich dir zu, ich glaube allerdings, dass sich das über kurz oder lang mit dem E-Book-Markt wieder ändern wird, dann haben auch ungewöhnlichere Projekte größere Chancen in die Welt zu kommen ...

Titus Müller: Da bin ich mir nicht so sicher. Auch im Internet gibt es eine begrenzte Aufmerksamkeitsspanne und eine begrenzte Wahrnehmungsfläche. Es ist ja nicht so, dass man alles aus den Tiefen von Google ausgräbt, man schaut sich die ersten 10, 20 Einträge an und dann gibt man auf. Deswegen ist die oft beschworene Demokratie des Internets Augenwischerei. Auch hier werden nur die beliebten Titel massenhaft angeklickt.

Horst Bosetzky hat mal gesagt, er müsse nicht „schreiben bis zum Grab“. Wie ist das bei euch?

Kathrin Lange: (lacht): Das ist eine schwierige Frage, die stelle ich mir selbst auch manchmal. Solange ich Lust auf Geschichten habe, werde ich auch weiter schreiben, mir Geschichten ausdenken und sie erzählen. Aber wenn ich merke, dass ich anfange, mich zu wiederholen, dass alles nur noch Abklatsch ist von etwas, das ich schon gemacht habe, dann könnte ich mir gut vorstellen, aufzuhören, dann gibt es diverse andere Dinge, die ich tun könnte. Aber das wäre ein schmerzhafter Schritt, und es sieht nicht so aus, als ob es in den nächsten 20 Jahren dazu kommen wird.

Titus Müller: Selbst wenn ich als alter Mensch keine Bücher mehr veröffentlichen sollte, würde ich mir trotzdem Notizen machen und Beobachtungen festhalten, um mich daran erinnern zu können oder die Dinge überhaupt erst mal zu begreifen. Das finde ich etwas ganz Wunderbares. Das richtige Wort zu suchen hilft ja oft zu verstehen, was man überhaupt für einen Sinneseindruck gehabt hat.

Woher holt ihr eure Geschichten? Ist das ein Fantasieren, das ihr euch aus der Kindheit hinübergerettet habt?

Kathrin Lange: Viele fangen im Alter von 14, 15 an zu schreiben. Ich glaube, das liegt daran, dass man die Geschichten, die man als Kind im Kopf hat und spielt, sei es mit Playmobil oder Legofiguren, nicht mehr spielen mag, weil man sich für zu erwachsen hält. Ich kann mich an den einen Tag erinnern, wo ich gesagt habe: So, Playmobil ist jetzt gestrichen, und ich schreibe die Geschichten auf. Und die sind einfach irgendwann da. Das liegt daran, dass ich für viele Themen offen bin und alle Antennen auf Empfang gestellt habe. Ich fahre relativ viel Bahn, und ich gehe oft in die Bahnhofsbuchhandlung und kaufe mir ein komplett abwegiges Heft, über das Fliegenfischen in Minnesota zum Beispiel, und daraus hole ich mir dann Anregungen.

Wie stark ist der Eskapismus dabei? Gerade beim historischen Roman oder der Fantasy – das bedeutet ja immer auch Flucht in eine andere Welt.

Titus Müller: Ich würde sagen, ich bin ein glücklicher Mensch, also hätte ich gar nicht so sehr Veranlassung zu fliehen. Ich denke eher, dass das Schreiben für mich einen stärkeren Genuss des Lebens bedeutet, weil es mich aufmerksamer macht. Ich kenne das Phänomen, dass ich wochenlang vor mich hinlebe und gar nicht merke, was um mich herum passiert, aber indem ich darüber schreibe, schärfe ich meine Wahrnehmung, meine Einsichten darüber, was das Leben bedeutet, worüber ich glücklich sein kann...

Kathrin Lange: ... oje, reflektierst du viel (lacht).

Titus Müller: Es kann doch passieren, dass man von einem Spaziergang aus dem Wald nach Hause kommt und gar nichts gesehen hat. Wenn man aber genauer hinguckt, weil man gerade darüber schreibt, dann sieht man die Waldameisen oder hört den Vogel und kann ihn zuordnen – mein Leben wird reicher durch das Schreiben. Die Wahrnehmung wird geschärft.

Kathrin Lange: Bei mir ist es umgekehrt, in Phasen, in denen ich intensiv schreibe, werde ich dumpf. Ich habe dann Scheuklappen auf und kann dann tatsächlich zwei Stunden mit meinem Hund spazieren gehen und weiß hinterher nicht, wo ich langgegangen bin, weil ich komplett im 15. Jahrhundert versunken bin.

Titus Müller: Aber wenn du zum Recherchieren in Frankreich bist, dann nimmst du die Gegend intensiv wahr.

Kathrin Lange: Das stimmt, aber das ist zeitlich gesehen der kleinere Teil. Ich würde dir insofern recht geben, dass es bereichert, weil ich als Autorin in der Lage bin, ganz verschiedene Leben zu leben. Ich kann mich dafür entscheiden, ab morgen Schwertkämpferin im 17. Jahrhundert zu sein. Nur in richtig heißen Phasen, wenn ich Abgabetermine habe, ertappe ich mich dabei, dass ich morgens aufstehe, mich hinsetze, schreibe, und abends ins Bett gehe, und da geht das Leben manchmal schon an einem vorbei. Aber das ist Gottseidank nur phasenweise.

Titus Müller: Man kann das Schreiben als einen sehr kommunikativen Akt verstehen, auch wenn ich die Menschen vielleicht gerade nicht um mich herum habe. Ich präsentiere ihnen die Schätze, die ich gefunden habe, durch Beobachtung oder Recherche. Das ist ja eine Form der Kommunikation. Dadurch fühle ich mich dann nicht einsam oder vom Leben ausgeschlossen.

Euer Geheinrezept für andere Autoren?

Kathrin Lange: In Hinblick aufs Leben als Autor würde ich sagen: Egal was auch immer passiert mit deinen Büchern, versuche, dir die Freude am Schreiben zu erhalten. Und in Hinsicht auf das Veröffentlichen wäre mein Rat: hartnäckig bleiben. Wenn man nach der ersten Absage verzagt, wird man es nie zum Autor schaffen. Das setzt natürlich eine gewisse Professionalisierung voraus, die aber auch wiederum eine Hartnäckigkeit verlangt.

Titus Müller: Mein Geheimrezept? Rohfassungen sind Mist. Und das ist eine Erleichterung. Das muss man sich selber immer wieder sagen, damit man überhaupt weiterschreibt. Und als zweites: Es ist wichtig, genau zu beobachten, das braucht man, um wieder etwas zum Schreiben zu haben. Sobald man die Augen zumacht und die Ohren taub werden, verhungert man innerlich.


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www.titusmueller.de
www.kathrin-lange.de

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