(c) Markus Röleke/Droemer-Knaur

Memoir. Das neue persönliche Erzählen

Seit einigen Jahren erobern sie die deutschen und internationalen Buchhandlungen: Persönliche Schicksale, ungewöhnliche Lebensgeschichten oder Einblicke in den beruflichen Alltag. Das Persönliche gewinnt an Bedeutung, das, was vielleicht jedem von uns passieren könnte. Die Lektorin Stefanie Hess ist seit Jahren beim Droemer-Knaur Verlag verantwortlich für den Bereich Memoir – und findet immer wieder spannende Geschichten.

Das Memoir ist eine verhältnismäßig junge Gattung auf dem Buchmarkt. Womit begann es?
Die ersten Memoirs im engeren Sinne waren sicherlich Betty Mahmoodys „Nicht ohne meine Tochter“ und Waris Dirie „Wüstenblüme“, zwei Frauenschicksale, die Welterfolge wurden, zuerst als Buch und dann auch als Film.

Was zeichnet ein Memoir aus?
Ein Memoir ist ein erzählendes Sachbuch, also keine fiktionale Erzählung. Menschen – in der Regel Frauen – schreiben ihre ungewöhnliche Lebensgeschichte auf. Memoirs sind immer Ich-Erzählungen von nicht Prominenten. Dadurch unterscheiden sie sich zum Beispiel von (Auto-)Biographien von bekannten Persönlichkeiten. Aber natürlich gibt es immer Grenzfälle.

Welche Arten von Memoir kann man unterscheiden?
Es gibt im Großen und Ganzen sieben Themen auf dem Memoir-Markt: Schicksals-Memoirs, in denen es darum geht, wie die Erzählerin einen schweren Schicksalsschlag bewältigt oder gestärkt aus einer existentiellen Krise hervorgeht. Dann die Exotik, hier ist das prominenteste Beispiel sicher „Die weiße Massai“ von Corine Hoffmann; relativ neu ist das Berufs-Memoir, wir hatten hier etwa mit „Unter deutschen Betten. Eine polnische Putzfrau packt aus“ einen großen Erfolg. Immer wichtiger werden Memoirs im Bereich Humor, das heißt, hier werden Themen aus dem Alltag auf eine humorvolle Art und Weise aufbereitet. Diese Bücher leben stark vom persönlichen Stil des Autors und werden selten von einem Ghostwriter geschrieben. Des weiteren gibt es noch die Selbstfindungs-Memoirs, oft verbunden mit einer Reise (Kerkeling: Ich bin dann mal weg) und auch verstärkt die Erotik-Memoirs in allen Spielarten.

Worauf muss man als Autorin achten, wenn man ein Memoir anbietet?
Wichtig ist das Thema: Ist meine Geschichte wirklich ungewöhnlich genug, dass sie sich von ähnlichen Geschichten abhebt? Jeder sollte sich auch fragen: Wieviel Persönliches will ich wirklich preisgeben? Wie reagieren Familie, Freunde oder Arbeitskollegen? Über manchen Autor rollt dann eine Welle der Aufmerksamkeit hinweg, und nicht alle haben schon genug Distanz zu ihrem Thema, um das zu verkraften. Wichtig ist auch, wie die Erzählung aufgebaut ist: Natürlich ist die Geschichte autobiografisch, trotzdem sollte sie verdichtet und strukturiert werden, sodass Spannung entsteht und die Leserin unterhalten wird. Manche Manuskripte überzeugen mich auch durch die Sprache, den einzigartigen Tonfall.

Wieso haben Memoirs einen solch durchschlagenen Erfolg. Was suchen die Leserinnen?
Zuallererst Identifikation. Wer eine Krankheit oder einen Schicksalsschlag zu verkraften hat, sucht häufig Bücher von Menschen, die ähnliches durchlitten und vielleicht überwunden haben. Oftmals findet man Trost in einem Memoir oder leidet mit einem ungewöhnlichen Schicksal mit. Exotik- oder Reise-Memoirs bieten das sogenannte „Arm-Chair-Travelling“, also eine kleine Flucht aus dem Alltag und natürlich Unterhaltung.

Interview: André Hille

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