(Teil 1 des Interviews)

Du bist seit zehn Jahren im Lektorat von Kiepenheuer und Witsch. Was macht ein gutes Projekt für dich aus? Muss das gepitcht sein?
Vor zehn Jahren hätte man noch gesagt: Pitch und Exposé sind Begriffe, die im literarischen Verlag nichts verloren haben. In der Filmbranche muss man Projekte pitchen, um jemanden zu finden, der einsteigt und mitfinanziert. In der Literaturbranche gehen in der Regel Autoren in Vorleistung, indem sie ihre Manuskripte schreiben, das heißt, eigentlich pitchen sie dann nicht mehr ihr Manuskript, um es überhaupt schreiben zu können, sondern um es zu veröffentlichen. Verlage entscheiden allerdings aufgrund der Schriftform, und zwar nicht der Schriftform des Anschreibens oder des Exposés, sondern auf der Grundlage der Schriftform des Textes. Doch die Dinge haben sich natürlich etwas verändert. Zum einen gibt es bestimmte literarische Formen und Genres, bei denen Pitch und Exposé durchaus sinnvoll sind. Bei einem eminent literarischen Roman hilft ein Exposé wiederum gar nicht viel, weil die Qualität des Textes eine primär sprachliche ist und die Handlung sekundär. Wenn ich nach literarischen Texten suche, dann suche ich nach Originalität in der Machart und in der Sprache, aber ich suche eigentlich keine Themen. Bei solchen Texten sind Pitch und Exposé am wenigsten bedeutsam, aber auch hier kommt man nicht drum herum, irgendeine Form zu finden, den eigenen Text anzukündigen.

Das heißt, bei literarischen Texten, die von der Sprache leben und weniger von der Handlung, reicht im Anschreiben ein Dreizeiler?
Das hängt stark mit der Frage zusammen, wo Lektoren ihre Texte herbekommen. Es gibt heute viel mehr Autoren als früher und auch eine ganz andere Infrastruktur in der Ausbildung von Autoren. Das heißt, allein über das Literaturinstitut in Leipzig, über den Hildesheimer Studiengang, über den Open Mike, über Literarische Zeitschriften oder Wettbewerbe, kann ein Lektor schon unheimlich viel an Autoren und an Texten kennenlernen, auf die er zugehen kann. Gleichzeitig ist die Menge der unverlangt eingesandten Manuskripte exponentiell gewachsen. Und diesem Stapel widmet man nicht den größten Teil der Aufmerksamkeit. Schon beim Anschreiben kann man Fehler machen, die dazu führen, dass sich der Lektor gar nicht mehr den Text anguckt.

Zum Beispiel?
Der Kardinalfehler ist, einen Text an einen Verlag zu schicken, der da gar nicht erscheinen kann, weil es die Programmsparte nicht gibt. Also zum Beispiel zu Kiepenheuer & Witsch Fantasyliteratur zu schicken, ist einfach falsch. Das ist für mich sowieso der allererste Rat für alle, die einen Verlag suchen: Man muss eine genaue Vorstellung davon haben, was der Verlag macht, um zu sehen, ob man da überhaupt reinpasst. Und das wiederum kann man dann ja auch offensiv darlegen. Es ist zum Beispiel sinnvoll im Anschreiben zu sagen: Ich schreibe Krimis mit einem historischen Hintergrund, und mich haben die Krimis von X und von Y beeindruckt, die bei ihnen im Haus erscheinen und deswegen sehe ich da meinen Platz. Das findet komischerweise in Anschreiben ganz selten statt. Ich habe den Eindruck, dass ein Großteil der Anschreiben ein Standardanschreiben ist, mit dem der seine Liste von fünfzehn Verlagen abarbeitet. Die kriegen aber im Grunde alle dasselbe Anschreiben. Da muss man, glaube ich, individueller vorgehen. Ich habe tatsächlich mal ein Anschreiben bekommen, aus dem ein Buch geworden ist. Das war im Grunde die unwahrscheinlichste Form des Anschreibens, eine E-Mail – und das macht ein Lektor ganz ungern, weil E-Mail ja ein offener Kanal ist. Wenn ich eine E-Mail von jemandem bekomme, den ich nicht kenne und antworte, dann ist es ganz schwer, aus dieser Kommunikation wieder auszusteigen. Aber in diesem einen Fall bekam ich eine E-Mail, in der wurde deutlich, dass die Autorin etwas über einen anderen Kiepenheuer & Witsch Autoren gelesen hatte und darüber ganz geschickt eine Beziehung zum Verlag hergestellt hat. Der Ton des Anschreibens war so, dass ich sie darum bat, dass sie mir das ganze Manuskript schickt. Das ist eigentlich schon ein sehr großer Schritt. Zwei Wochen später hatten wir einen Vertrag. Da hat es mal richtig gut geklappt.

Was hat diese Autorin richtig gemacht? Was war der Angelhaken, der dich dann hat anbeißen lassen?
Sie hat ihre Figur und auch den Ton der Geschichte so dargestellt, dass ich dachte, ja, spannend, ich will mehr lesen, diese Figur reizt mich. Das war Alina Bronsky und der Roman heißt „Scherbenpark“, ist vor drei Jahren erschienen und war ein großer Erfolg. Mittlerweile ist ihr zweiter Roman erschienen „Die schärfsten Gerichte der tatarischen Küche“ – die Autorin hat dann auch bewiesen, dass sie sehr gut schreiben kann.

Kannst du dich noch daran erinnern, was sie über ihre Figur geschrieben hat?
Ja. Die Figur Sascha ist ein sechzehnjähriges Mädchen, das in einer völlig desolaten Familiensituation aufwächst, sich aber aus dieser Situation befreit. Diese Entschlossenheit der Figur, die Charakterstärke dieses Mädchens angesichts dieses Umfelds kamen extrem gut rüber. Ich spürte eine erzählerische Kraft, aber auch eine Kraft in der Figur. Es gibt bestimmte Merkmale in einem Anschreiben, die es zu etwas Besonderem machen: Mut zu großer Verknappung, Verdichtung und zum Herausstellen von ein, zwei zentralen Elementen der Geschichte.

Das klingt jetzt fast so, als ob du dazu ermutigen würdest, dir eine E-Mail zu senden?
Das ist in der Regel wenig erfolgversprechend. Angehende Autoren sollten versuchen, eine Stufe niedriger anzusetzen. Man ist ja im eigenen Selbstbewusstsein erst dann ein Autor, wenn man auch etwas veröffentlicht hat. Wobei man durchaus sagen könnte, das muss nicht zwangsläufig so sein. Man könnte auch sagen, dass das Schreiben an sich eine sinnvolle Beschäftigung ist. Aber das führt dann ganz schnell, wenn man so weiterargumentiert, zu einem Kunsthandwerk. Leute stricken ja auch gern und tragen lieber ihre eigenen Strümpfe, oder Leute betreiben Seidenmalerei und freuen sich, wenn sie ihr eigenes Tuch umlegen und daran muss die große, weite Welt nicht teilhaben. Das ist beim Schreiben doch anders. Schreiben ist keine Seidenmalerei, Schreiben ist ein dialogischer Vorgang. Man will ja auch gelesen, und das heißt publiziert werden. Und da würde ich sagen: Einen Roman zu veröffentlichen ist die Königsdisziplin. Man kann auch erstmal eine Kurzgeschichte in einer literarischen Zeitschrift veröffentlichen oder man kann versuchen, ein Stipendium zu bekommen oder sich an einem Wettbewerb zu beteiligen. Es gibt auf einer niedrigeren Ebene durchaus ein breites Angebot, auf der man als Autor schon mal zum Autor werden und sich Kollegen und Kritik aussetzen kann. Das schlimmste, was man in einem Anschreiben machen kann, ist zu schreiben: „Sehr geehrter Herr Lektor, Sie dürfen sich glücklich schätzen, Sie sind mein erster Leser, noch niemand hat das Werk vorher gelesen.“ (lacht) Dann sage ich: Ich will das gar nicht sein und das ist auch keine Empfehlung. Wenn den vorher noch keiner kritisiert hat, dann soll ich, der das dann veröffentlichen wird, den kritisieren? Das wird natürlich total heikel. Manchmal merkt man, das sind leider auch etwas einsame Menschen, die aus der Isolation heraus über das Schreiben Signale senden, die aber eigentlich gar nicht auf den Buchmarkt zielen, sondern auf etwas anderes.
Man kann auch nicht zuerst den Lektor anschreiben, sondern einen anderen Autor. Autoren sind ja im deutschsprachigen Raum relativ öffentliche Figuren. Das finde ich immer wieder erstaunlich, dass Autoren gar nicht so sehr darüber klagen, dass sie nach jeder Lesung immer noch zwei oder drei Autoren belagern. Und das ist für mich im Anschreiben zum Beispiel auch interessant: Leute, die schreiben, sind ja vorher erst einmal Leser gewesen und sind es hoffentlich während sie schreiben immer noch. Und das sind ja für einen Lektor auch relevante Signale, wenn man erfährt, was der eigentlich liest und wo er sich einordnet.

Viele der Wege, die du genannt hast, Leipzig, Open Mike und viele andere, sind älteren Autoren aufgrund von Alterbeschränkungen verschlossen. Welche Rolle spielt das Alter?
In unserer aktuellen Vorschau sieht man, welche Rolle das Alter spielt: Peter Steinbach ist ein Debütant im Alter von dreiundsiebzig. Er war Drehbuch- und Hörspielautor und hat schon mit Edgar Reitz gearbeitet. Eugen Ruge, der Buchpreis-Preisträger, ist auch ein Prosa-Debütant. Er war einer der Kandidaten für den Alfred-Döblin-Preis. Vor Jahren habe ich über den Döblinpreis Jan Faktor in den Verlag geholt. Und der war zu dem Zeitpunkt auch schon über fünfzig.

Im nächsten Teil des Interviews: „Pitching is selling not telling the story“
Konkrete Hinweise zum Pitchen von Romanen.

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