"Verlässliche Erfolgsfaktoren bei Serien gibt es nicht"

Der Serienforscher Dr. Andreas Jahn-Sudmann über sympathische Serienkiller, effektvolle Werbepausen und die doppelte Dramaturgie in Serien.

Serien begeistern uns, manche sind sogar Kult. Was macht Serien erfolgreich?
Verlässliche Erfolgsfaktoren gibt es da grundsätzlich nicht. Man kann zwar analysieren, was in der Vergangenheit erfolgreich gewesen ist, aber das bedeutet noch lange nicht, dass es heute ebenfalls Erfolg hat. Erfolg lässt sich nicht bloß auf bestimmte Merkmale von Produkten zurückführen, wie spezifische Stars, Themen oder Erzählverfahren, sondern hängt von vielen äußeren Bedingungen ab. Gegenüber dem klassischen Einzelwerk hat die Serie jedoch den Vorteil, dass sie recht flexibel auf ihre Rezeption reagieren kann, zum Beispiel wenn in der Öffentlichkeit Kritik geäußert wird oder das Interesse an der Serie sinkt.

Was fasziniert uns eigentlich an Serien?
Bei der Serie spielen die Vertrautheit mit einer etablierten Welt und Formen der Wiederholung eine große Rolle. Das können beispielsweise Figuren sein, die so handeln, wie man es erwartet oder Figuren, die überraschen, weil sie plötzlich anders handeln als man es erwartet. Eine wichtige Funktion der Serie besteht zudem darin, dass sie Taktgeber des Alltags ist. Man denke nur an den Tatort: Immer sonntags um 20:15 Uhr im Ersten.

Heute denken wir bei Serien vor allem an TV-Erfolge, beispielsweise Soaps wie „Gute Zeiten, schlechte Zeiten“, Krimiserien wie „Tatort“ oder auch Reality TV. Lässt sich das Erfolgsmodell von TV-Serien auf Buch oder E-Book übertragen?
Buch und Fernsehen sind sehr unterschiedliche Medien. Das verkompliziert die Idee, TV-Serien als ästhetisches Vorbild für Romanserien zu denken. Darüber hinaus ist die Romanserie ja eigentlich nicht auf die TV-Serie als Erfolgsmodell angewiesen. Es existieren genügend erfolgreiche Buch- oder Romanserien – historisch betrachtet allemal.

Eine Serie entwickelt sich in Episoden. Was bedeutet das für die Dramaturgie?
Man kann in diesem Zusammenhang von einer doppelten Dramaturgie sprechen: Die Folge muss für sich dramaturgisch funktionieren, gleichzeitig sind die dramaturgischen Anforderungen der Staffel beziehungsweise der Serie zu beachten. Grundsätzlich muss man hier von Folge zu Folge die richtige Balance finden. Dennoch kann in bestimmten Folgen die Episodendramaturgie wichtiger sein als der große Spannungsbogen oder umgekehrt. – Übrigens ist die Dramaturgie der Staffel oder der Serie keinesfalls einfach zu beherrschen. Zuschauer können auch mal die Geduld verlieren, wenn Spannungsbögen zu lang sind. Bei Twin Peaks schrieb zum Beispiel ein Fernsehkritiker seinerzeit sinngemäß: Interessiert sich noch irgendjemand dafür, wer Laura Palmer umgebracht hat? Kurzum, gerade Serien mit weiten Spannungs- und Erzählbögen müssen auch die Lust an der Abschließung ernst nehmen.

Wie hält man als Autor von Folge zu Folge die Spannung?
Das lässt sich allgemein schwer beantworten. Aber es gibt natürlich etablierte Erzählstrategien der Spannungsgestaltung. Der Cliffhanger ist ja zum Beispiel ein klassisches Verfahren, die Spannung aufrechtzuerhalten. Bei der Fernsehserie haben etwa Werbepausen diesen Effekt. Im Roman funktioniert das analog, wenn Cliffhanger am Ende eines Kapitels platziert werden. Daneben hat die sogenannte Zopfdramaturgie, also das Verweben mehrerer Handlungsstränge, eine wichtige Funktion für den Aufbau und die Erhaltung der Spannung.

Was für Figuren braucht eine Serie, damit der Zuschauer oder Leser dabei bleibt?
Es ist grundsätzlich von Vorteil, wenn Zuschauer eine Figur mögen, selbst und gerade dann, wenn man sich eigentlich von ihr distanzieren müsste. Man denke nur an den Serienkiller Dexter in der gleichnamigen TV-Serie. Das gelingt in diesem Fall, weil er ein netter Kerl und Familienvater ist, weil er „die Richtigen umbringt“ und schließlich, weil er ähnliche Probleme und Sorgen hat, wie wir als Zuschauer vor dem Bildschirm. Serienwelten mögen von unserer empirischen Welt recht weit entfernt sein. Sie etablieren jedoch häufig einen „emotionalen Realismus“, wie Ien Ang das genannt hat. Und dieses emotionale Band zwischen Serie und Zuschauer entsteht auch dann, wenn die Welt unvertraut ist oder unrealistisch erscheint.

Viele Serien sind in einem speziellen Milieu angesiedelt. Gibt es Milieus, die hier besonders gut funktionieren?
Selbstverständlich. Krankenhaus- oder Arztserien, Anwaltsserien oder Ermittlerserien erlauben es, dass in jeder Folge ein neuer Fall bearbeitet werden kann – oder sogar mehrere. Das ist vor allem für die traditionelle Episodenserie von Vorteil. Grundsätzlich gehe ich aber davon aus, dass jedes Milieu, ohne Ausnahme, serienkompatibel ist. Gerade wenn uns etwas für die Form der Serie unpassend erscheint, könnte es allein deshalb interessant sein. Bestes Beispiel hierfür ist Dexter. Wer hätte gedacht, dass man über mehrere Staffeln hinweg eine TV-Serie über einen Serienkiller machen kann? Und doch funktioniert es.


Dr. Andreas Jahn-Sudmann
ist wissenschaftlicher Mitarbeiter am John-F.-Kennedy-Institut der Freien Universität Berlin. Zuvor leitete er die Abteilung Medienwissenschaft des Zentrums für interdisziplinäre Medienwissenschaft (ZiM) an der Universität Göttingen und war parallel als wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für Information und Medien, Sprache und Kultur der Universität Regensburg tätig. In der Forschergruppe „Ästhetik und Praxis populärer Serialität“ leitet er zusammen mit einem Kollegen das Teilprojekt „Digitale Serialität“. Bei der „Masterclass digitale Serienentwicklung“ der Textmanufaktur arbeitete er mit den Teilnehmern zum Thema Serialität.  

Zurück

Menu